1848 - geteiltes Erbe

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Tonaufnahmen aus dem Jahre 1948 (Berlin, Frankfurt - Main) über die deutsche Revolution des Jahres 1848

Eine Produktion des Deutschen Historischen Museums Berlin und des Deutschen Rundfunkarchivs Frankfurt/M. und Potsdam - Babelsberg (CD Nr. 10)

 

Klangbeispiel:
18.03.1948: Rundfunkansprache von Ernst Reuter [Track 8]

 

Die zahlreichen Feiern, die im Frühjahr des Jahres 1948 in Deutschland stattfanden und an die gescheiterte Revolution von 1848 erinnerten, hatten ihre Bedeutung nicht so sehr in der Vermittlung historischer Kenntnisse, sondern sie waren Ausdruck der beginnenden politischen Spaltung Deutschlands und Berlins. Fromell noch ein Land und eine Stadt unter der Herrschaft der vier Besatzungsmächte, war angesichts der getrennten Kundgebungen die kommende Teilung unüberseh- und vor allem unüberhörbar.

Die Berliner Stadtverordnetenversammlung konnte sich nicht auf ein gemeinsames Gedenken an die Gefallenen des 18. März 1848 einigen, lediglich die Kranzniederlegung sowie die Enthüllung des Gedenksteins auf dem Ehrenfriedhof in Friedrichshain wurde gemeinsam vollzogen. An der Feier des Magistrats in der Städtischen Oper in Charlottenburg (heute "Theater des Westens") nahm kein Vertreter der SED teil, Hauptredner war der langjährige Präsident des Reichstags der Weimarer Republik, Paul Löbe (SPD), der vor allem für seine Formulierung: Es bedarf keines Volkskongresses, um die deutsche Einheit herbeizuführen, viel Beifall erhielt. Löbe spielte damit auf den Deutschen Volkskongreß an, der sich am Vortag in der Staatsoper Unter den Linden versammelt hatte. Auch hier gab es eine Sitzung, auf der über die Konsequenzen aus dem Scheitern der Revolution von 1848 gesprochen wurde. Otto Grotewohl, neben Pieck Vorsitzender der SED, erklärte die Niederlage der Revolutionäre durch den Verzicht des Bürgertums auf ein Bündnis mit den Arbeitern und Bauern, heute - hundert Jahre später - sei die SED zu einer breiten fortschrittlichen Bündnispolitik bereit: "Das ist die entscheidende Lehre aus der Märzrevolution 1848".

Am Nachmittag des 18. März 1948 kam es zu zwei getrennten Kundgebungen, in Friedrichshain war Wilhelm Pieck der Hauptredner, der vor der Zerreißung Deutschlands durch die Bestrebungen der Westalliierten, insbesondere durch den Marshallplan, warnte (Neues Deutschland, 20.03.1948; hiervon ist keine Tonaufnahme erhalten). Auf dem Platz der Republik vor dem Reichstag sprachen neben Jakob Kaiser (CDU) und Carl-Hubert Schwennicke (LDP) vor allem Ernst Reuter (SPD), der unter Hinweis auf den kommunistischen Umsturz in Prag vor wenigen Wochen ausrief: "Bang fragt sich die Welt: Was wird kommen? Prag, Finnland - wer kommt dann dran? Berlin wird nicht drankommen! An unserem eisernen Willen wird sich die Flut brechen!". In seiner abendlichen Rundfunksendung über RIAS Berlin nahm Ernst Reuter - von der Stadtverordnetenversammlung im Juni 1947 zum Oberbürgermeister gewählt, seine Wahl wurde aber vom sowjetischen Stadtkommandanten nicht bestätigt (statt seiner amtierte Louise Schroeder als Stadtoberhaupt) - diesen Grundgedanken wieder auf: An dem Freiheitswillen der Berliner werden die "Mächte der Finsternis zerschellen". Er appelierte an seine Zuhörer, den Auftrag der Toten des 18. März 1848: ein freies, einiges und friedliches Deutschland zu schaffen, nicht als Träumerei zu betrachten, sondern als realistische politische Aufgabe.

Zwei Monate später kam es wiederum zu zwei getrennten Veranstaltungen. Die zentrale - aber nicht einzige - Gedenkfeier in den drei Westzonen Deutschlands anläßlich des hundertsten Jahrestages des Zusammentritts der Nationalversammlung fand in Frankfurt am Main statt, am historischen Ort in der Paulskirche. Die durch alliierte Bombenangriffe im März 1944 schwer zerstörte Kirche wurde besonders auf Drängen des Frankfurter Oberbürgermeisters Walter Kolb so rechtzeitig wiederaufgebaut, daß sie am 18. Mai 1948 zur Jahrhundertfeier wiedereröffnet werden konnte. Die Festansprache hielt der expressionistische Dramatiker Fritz von Unruh, der seit 1933 im französischen, später im amerikanischen Exil lebend, hier erstmals wieder vor deutschem Publikum zu hören war - vergleichbar mit dem Schauspieler Fritz Kortner, der wenige Wochen zuvor in Berlin seit seiner erzwungenen Emigration erstmals in Deutschland öffentlich aufgetreten war. Fritz von Unruh attackierte in seiner bewegenden Rede das opportunistische Verhalten seiner deutschen Landsleute während der NS-Zeit, das sich heute gegenüber den Besatzungsmächten wiederhole: " Hinweg mit ihnen, die immer sagen: Hier stehe ich, ich kann auch anders". Er appellierte an die Kraft des Individuums, das seinen Paulskirchentraum von der Freiheit des eigenen Lebens verwirklichen könne.

Aus demselben Anlaß tagte in Berlin der Deutsche Volksrat - ein vom Volkskongreß gewähltes Gremium - im Haus der Deutschen Wirtschaftskommission (später: Haus der Ministerien); Wilhelm Pieck erklärte in seiner stark historisch angelegten Rede, daß dieselben Kräfte, die für den Faschismus und den 2. Weltkrieg verantwortlich seien, heute in der Frankfurter Paulskirche säßen und - weil sie die "demokratische Entwicklung" in der sowjetischen Besatzungszone nicht mehr rückgängig machen könnten - bereit seien, Deutschland zu zerreißen: "Die Jahrhundertfeier in Frankfurt am Main soll als Staffage für die Bildung eines Weststaates mit Frankfurt als Hauptstadt dienen" und "Frankfurt ist nicht die Einheit, sondern die Spaltung Deutschlands!".

Zwischen diesen beiden Daten - dem 18. März und dem 18. Mai 1948 - war der Alliierte Kontrollrat auseinandergebrochen, Ende Juni 1948 wurden für West- und Ostdeutschland getrennte Währungsreformen durch die Besatzungsmächte angeordnet, die Spaltung Berlins und Deutschlands hatte greifbar Gestalt angenommen, die dann für vierzig Jahre Realität wurde. -

Die Tonaufnahmen, die aus den beiden Phonotheken des Deutschen Rundfunkarchivs in Berlin und Frankfurt stammen, wurden von André Huthmann sorgfältig tontechnisch aufbereitet, für wertvolle Hinweise danke ich Susanne Höschel (Berlin).

Frankfurt am Main, März 1998
Walter Roller


Inhalt:

17.3.1948: Tagung des 2. Volkskongresses "Für Freiheit und gerechten Frieden" in der Berliner Staatsoper

Track Redner Dauer
01 Otto Grotewohl, Vorsitzender der SED 8'09"
02 Emmy Damerius, stellvertretende Vorsitzende des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands 4'26"
03 18.3.1948: Kranzniederlegung auf dem Ehrenfriedhof in Berlin-Friedrichshain am Gedenkstein der Märzgefallenen (mit kurzen Erklärungen von Erich Honecker, Vorsitzender der FDJ und Paul Markgraf, Polizeipräsident von Berlin) 2'00"


18.3.1948: Feier des Berliner Magistrats in der Städtischen Oper

Track Redner Dauer
04 Paul Löbe, ehemaliger Reichstagspräsident 3'53"
05 Fritz Kortner rezitiert aus Victor Hugos "Ansprache zur Eröffnung des Friedenskongresses in Paris" (21.8.1849) 2'44"


18.3.1948: Kundgebung auf dem Platz der Republik vor dem Reichstag

Track Redner Dauer
06 Jakob Kaiser (CDU) 2'54"
07 Ernst Reuter (SPD), Berliner Stadtrat für Verkehr 2'00"
08 18.3.1948: Rundfunkansprache von Ernst Reuter 6'51"


18.5.1948: Kundgebung in der Frankfurter Paulskirche
zum Gedenken an die Eröffnung der Deutschen Nationalversammlung am 18. Mai 1848

Track Redner Dauer
09 Rundfunkansage, Reportage 1'32"
10 Walter Kolb, Frankfurter Oberbürgermeister 4'49"
11 Fritz von Unruh: Festrede 20'55"


18.5.1948: Sitzung des Deutschen Volksrates im Haus der Deutschen Wirtschaftskommission (Berlin-Mitte)
zum Gedenken an die Eröffnung der Deutschen Nationalversammlung am 18. Mai 1848

Track Redner Dauer
12 Otto Nuschke, Präsident des Deutschen Volksrates 0'52"
13 Wilhelm Pieck, Vorsitzender der SED 8'51"

Gesamtspielzeit:  71'30"

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