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Barocke Kostbarkeiten

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Erstveröffentlichungen von Rundfunkaufnahmen aus den Jahren 1936 - 1943
Werke von Bach, Graun, Händel, Telemann, Vivaldi, u.a. mit Gustav Schenk, Fritz Neumeyer, August Wenzinger
(CD Nr. mu04)

 

Klangbeispiel:
Händel: Concerto grosso D-Dur, op. 6,5 HWV 323 (Track 1, 1'37")
Orchester des Deutschlandsenders Berlin, Leitung: Alois Melichar (aufgenommen: 1939)

 

Aufnahmen:
 

Georg Friedrich Händel (1685-1759)
Concerto grosso D-Dur, op. 6,5 HWV 323

1 ohne Besetzung (Maestoso) 1'37"
2 Allegro 2'25"
3 Presto 1'45"
4 Largo 2'24"
5 [Finale] Allegro 2'22"

Orchester des Deutschlandsenders Berlin, Leitung: Alois Melichar
Aufnahme: Deutschlandsender, 04.09.1939, Funkhaus Berlin, Matrizen-Nr.: DS 55474/78



Georg Phillipp Telemann (1681-1767)
Aus: Konzert D-Dur, TWV Anh. 51:D für Flöte, Streicher und Basso continuo

6 Allegro (2) 3'02"
7 Adagio (3) 2'38"
8 Menuett I - Menuett II (4) 2'24"

Gustav Scheck, Traversflöte; Saarbrücker Vereinigung für Alte Musik: Günther Lemmen, Dorothee Cormann, Violine; Gerda van Essen, Viola; Wilhelm Pitz, Violoncello; Bruno von Rhein, Kontrabaß; Fritz Neumeyer, Cembalo
Aufnahme: Reichssender Saarbrücken, 31.10.1936, Funkhaus Saarbrücken, Senderaum, Matrizen-Nr.: Saarbr 32944/46



Georg Phillipp Telemann (1681-1767)
Ouvertüre (Suite) D-Dur, TWV 55:D6 für Viola da gamba, Streicher und Basso continuo

 9 Ouvertüre 4'27"
10 La Trompette 1'36"
11 Sarabande 4'46"
12 Rondeau 1'11"
13 Bourrée 2'07"
14 Courante - Double 2'13"
15 Gigue. Presto 2'29"

August Wenzinger, Viola da gamba; Kammermusikkreis Scheck-Wenzinger
Aufnahme: Reichs-Rundfunk-Gesellschaft, 08.01.1943, Funkhaus Berlin, Tonbandaufzeichnung



Antonio Vivaldi (1678-1741)
Konzert a-Moll, op. 3,8 RV 522, für 2 Violinen, Streicher und Basso continuo

16 Allegro 3'25"
17 Larghetto e spiritoso 4'23"
18 Allegro 3'31"

Nicht bekannt, Solo-Violinen; Gewandhaus-Kammerorchester; Leitung: Paul Schmitz
Aufnahme: Reichssender Leipzig, 17.09.1940, Leipzig, Gewandhaus, Matrizen-Nr.: Lzg 61184/86



[Carl Heinrich ?] Graun
Konzert C-Dur für Cembalo, Streicher und Basso continuo

19 Poco Allegro 4'47"
20 Adagio 5'14"
21 Allegro 3'34"

Fritz Neumeyer, Cembalo; Saarbrücker Vereinigung für Alte Musik: Günther Lemmen, Dorothee Cormann, Violine; Gerda van Essen, Viola; Wilhelm Pitz, Violoncello; Bruno von Rhein, Kontrabaß
Aufnahme: Reichssender Saarbrücken, 31.10.1936, Funkhaus Saarbrücken, Senderaum, Matrizen-Nr.: Saarbr 32947/50



Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Konzert d-Moll, BWV 1043, für 2 Violinen, Streicher und Basso continuo

22 Vivace 4'01"
23 Largo 7'25"
24 Allegro 5'24"

Georg Steiner, Christa Richter-Steiner, Violine; Bruno Seidelhofer, Cembalo; Wiener Symphoniker, Leitung: Anton Konrath
Aufnahme: Reichssender Wien, 21.03.1941, Funkhaus Wien, Senderaum, Matrizen-Nr.: Wi 64470/74

Gesamtzeit: 79'32"

 

Text des Booklets:

Barocke Kostbarkeiten aus den Archiven der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (1936 - 1943)
Neuentdeckte Aufnahmen Alter Musik in historischen Einspielungen

Barockmusik in historischen Aufnahmen, das erweckt Assoziationen von großen Orchestern, überproportional besetzten Streichern mit viel Vibrato, langsamen Tempi und reichlich Pathos, und man mag sich die Frage stellen, ob die Veröffentlichung solcher Einspielungen angesichts der unzähligen Aufnahmen mit Spezialensembles für Alte Musik nicht überflüssig sei. Die Aufnahmen auf der vorliegenden CD zeigen, daß die gängigen Vorurteile über historische Aufnahmen - auch und gerade - von Alter Musik keineswegs immer zutreffen und daß sich die Beschäftigung mit der Rezeptionsgeschichte von Barockmusik durchaus lohnt.

Auf dieser CD sind bis dato unveröffentlichte Rundfunkaufnahmen aus den Jahren 1936 bis 1943 zu hören, die im Deutschen Rundfunkarchiv im Zuge der systematischen Aufarbeitung der Musikproduktionen der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft wiederentdeckt wurden. Die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft war bei ihren Musikproduktionen recht fortschrittlich. Bis zur Machtübernahme Hitlers haben die Musikredakteure der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft besonderen Wert auf Musik der damals bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten wie Alban Berg, Paul Hindemith und Igor Strawinsky gelegt. Aber auch gegenüber der Alten Musik zeigte man sich sehr aufgeschlossen. So wurden Aufnahmen von Kompositionen veranlaßt, die heutzutage durchaus geläufig sind, aber zur damaligen Zeit kaum jemand kannte. In den Aufnahmelisten der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft finden sich Werke von Carl Philipp Emanuel Bach, Girolamo Frescobaldi, Carl Heinrich Graun, Jan Pieterszoon Sweelinck, Georg Philipp Telemann und Antonio Vivaldi. Man unterstützte auch die ersten Versuche einer stilgerechten Wiedergabe Alter Musik auf historischen Instrumenten.

Die vorliegende CD beinhaltet sowohl Einspielungen mit traditionellen Orchestern als auch Aufnahmen von kleinen Ensembles auf altem Instrumentarium. Dies erlaubt einen interessanten Vergleich zwischen den verschiedenen Interpretationsansätzen in den 1930er und 1940er Jahren. Alle Interpretationen auf unserer CD klingen erstaunlich modern. Selbst bei den Einspielungen mit Sinfonieorchester konstatiert man eine relativ schlanke Tongebung und differenzierte Artikulation. Die Unterschiede zwischen der traditionellen und der historisierenden Spielweise waren nicht unbedingt so gravierend wie man es vielleicht denken könnte.

Im Zentrum unserer CD stehen drei Aufnahmen mit den Pionieren der historischen Aufführungspraxis: Fritz Neumeyer, Gustav Scheck und August Wenzinger. Diese Aufnahmen aus den Jahren 1936 und 1943 zählen wohl zu den ältesten Tondokumenten der Alte-Musik-Bewegung.

Fritz Neumeyer wurde am 2. Juli 1900 als Sohn eines Weinhändlers in Saarbrücken geboren. Nach dem Musikstudium in Köln und Berlin war er von 1924 bis 1927 Kapellmeister und Chorleiter am Saarbrücker Stadttheater. Entscheidend für seine weitere Laufbahn war die Begegnung mit dem Musikforscher Curt Sachs im Jahre 1928. Sachs war Direktor der Berliner Instrumentensammlung und weckte Neumeyers Interesse für historische Instrumente und quellenorientierte Aufführungspraxis. Neumeyer beschäftigte sich intensiv mit den Charakteristika der historischen Cembali der Berliner Instrumentensammlung. Ende der 1920er Jahre begann er seine lange Karriere als Cembalist. Von 1930 an sammelte er auch selbst historische Tasteninstrumente. Seine umfangreiche Sammlung befindet sich seit 1974 im Bad Krozinger Schloß.

1933 gründete Neumeyer die "Saarbrücker Vereinigung für Alte Musik". Das Kammerensemble bestand aus professionellen Musikern und ambitionierten Amateuren, die sich um die Rekonstruktion eines authentischen Klangbildes bemühten. Durch eine rege Konzertaktivität und Rundfunkübertragungen, in erster Linie durch den Reichssender Saarbrücken, errang die "Saarbrücker Vereinigung für Alte Musik" bald einen hohen Bekanntheitsgrad. Leider sind von diesen Rundfunkaufnahmen kaum welche erhalten. Zwei Einspielungen der "Saarbrücker Vereinigung für Alte Musik" für den Reichssender Saarbrücken sind auf dieser CD zu hören.

1935 schloß sich Neumeyer dem "Kammermusikkreis Scheck-Wenziger" an, mit dem er viele Erfolge feierte. 1939 wurde er als Lehrer für historische Tasteninstrumente und Generalbaß an die Berliner Musikhochschule berufen. Im Jahre 1946 erhielt er eine Professur an der neugegründeten Musikhochschule in Freiburg im Breisgau. Dort lehrte er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1968. Im Jahre 1954 trat er dem von dem damaligen Nordwestdeutschen Rundfunk gegründeten Barockorchester "Cappella Coloniensis" bei, das auch heute noch zu den wichtigsten Spezialensembles für Alte Musik zählt. Mit seinen zahlreichen Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen setzte er Maßstäbe in der Interpretation alter Musik.

Fritz Neumeyer starb am 16. Januar 1983 in Freiburg im Breisgau.

Gustav Scheck wurde am 22. Oktober 1901 in München geboren. Scheck studierte Flöte bei Richard Röhler und Musiktheorie bei Joseph Müller-Blattau und Hermann Erpf. Schecks Interesse an historischen Instrumenten wurde wahrscheinlich von Willibald Gurlitt geweckt, bei dem er Musikwissenschaft studierte. Gurlitt setzte sich für den Erhalt historischer Instrumente ein und wurde vor allem durch eine Orgel bekannt, die er nach einer Disposition von Michael Praetorius (ca. 1571-1621) durch die Firma Walcker in der Aula der Freiburger Universität errichten ließ. Schecks beruflicher Werdegang durchlief zahlreiche Stationen: 1924 wurde er Flötist im Städtischen Orchester Freiburg und ging dann an das Düsseldorfer Schauspielhaus. Weitere Wirkungsstätten waren Kiel, Bremen und Königsberg, wo er bei der dortigen Ostmarken-Rundfunk-AG Solo-Flötist unter Hermann Scherchen war. 1929 wechselte Scheck an die Hamburger Staatsoper.

1930 gründete er zusammen mit August Wenzinger den "Kammermusikkreis Scheck-Wenziger", der bis in die 1950er Jahre hinein das führende Spitzenensemble für Alte Musik war. Zahlreiche Einspielungen für den Rundfunk und die Schallplattenindustrie machten den "Kammermusikkreis Scheck-Wenziger" weithin bekannt. Im Bewußtsein der interessierten Öffentlichkeit war das Ensemble so gut etabliert, daß man es lange für das erste Barockensemble mit Originalinstrumenten überhaupt hielt.

1934 folgte Scheck einem Ruf an die Berliner Musikhochschule, an der er bis 1945 lehrte. Von 1946 bis 1964 war er Direktor der von ihm mitbegründeten Freiburger Musikhochschule, die in der Nachkriegszeit ein wichtiges Zentrum für die Erforschung und Umsetzung der historischen Aufführungspraxis war. Aufgrund seiner Verdienste um die stilgerechte Aufführung Alter Musik verlieh ihm die Universität zu Freiburg die Ehrendoktorwürde.

Scheck genoß gleichermaßen als Solist und als Lehrer einen internationalen Ruf. Viele bedeutende Flötisten unserer Zeit berufen sich auf ihn. Seine Schriften "Der Weg zu den Holzblasinstrumenten" und "Die Flöte und ihre Musik" zählen zur Standardliteratur.

Gustav Scheck starb am 19. April 1984 in Freiburg im Breisgau.

August Wenzinger wurde am 14. November 1905 in Basel geboren. Er studierte Violoncello in seiner Heimatstadt, in Köln und in Berlin, unter anderem bei Paul Grümmer und Emanuel Feuermann. Ab 1925 setzte sich Wenzinger intensiv mit dem Spiel der Viola da gamba auseinander. 1928 stieß er zu einem Kreis von Musikern, die der Papierfabrikant Hans Eberhard Hoesch in Hagen-Kabel um sich versammelt hatte. Hoesch besaß eine umfangreiche Sammlung an historischen Instrumenten und betrieb aktiv die Pflege des stilgerechten Musizierens auf Originalinstrumenten. Die "Kabeler Kammermusiken", die Hoesch 1930 ins Leben rief, waren bedeutende Meilensteine in der Rezeptionsgeschichte der Alten Musik. An diesen Konzerten waren auch August Wenzinger und Gustav Scheck mit ihrem Kammermusikkreis maßgeblich beteiligt. 1933 übernahm Wenzinger die Leitung der "Kabeler Kammermusik", die aber noch im gleichen Jahr - auch auf politischen Druck hin - eingestellt wurde. Im selben Jahr folgte er einem Ruf nach Basel. Er gehörte zu den ersten Dozenten, die an der Schola Cantorum Basiliensis lehrten. Diese Institution wurde 1933 von Paul Sacher als Lehr- und Forschungsstätte für Alte Musik gegründet und genießt auch heute noch einen ausgezeichneten internationalen Ruf.

Wenzinger feierte nicht nur als Solist Erfolge, er war auch ein gefragter Dirigent. 1954 wurde er vom Nordwestdeutschen Rundfunk in Köln als Leiter des hauseigenen Barockorchesters "Cappella Coloniensis" berufen, das sich in seinem Kern aus Mitgliedern des "Kammermusikkreises Scheck-Wenzinger" rekrutierte. Ihr erstes Konzert gab die "Cappella Coloniensis" am 18. September 1954, vier Jahre vor dem ersten öffentlichen Auftritt des Barockorchesters "Concentus musicus", das 1953 von Nikolaus Harnoncourt gegründet wurde. 1955 spielte Wenzinger Claudio Monteverdis Oper "L'Orfeo" als Erstaufnahme auf Schallplatte ein. Von 1958 bis 1966 leitete Wenzinger die Aufführungen der Barockopern im Rahmen der Festwochen Herrenhausen. 1968 gründete er das Gambenquartett der Schola Cantorum Basiliensis. Wenzinger lehrte u.a. in Harvard und an der Brandeis University. Er verfaßte Lehrwerke und besorgte Editionen Alter Musik. 1960 wurde ihm von der Universität Basel die Ehrendoktorwürde verliehen.

August Wenzinger starb am 25. Dezember 1996 in Basel.

 

Am Beginn unserer CD steht Georg Friedrich Händels Concerto grosso D-Dur, op. 6,5 in einer Aufnahme mit einem konventionellen Orchester, dem Orchester des Deutschlandsenders Berlin. Händels Werke, vor allem seine Orchestermusik, gehörten zum Zeitpunkt der Aufnahme zum gängigen Konzertrepertoire. Zusammen mit Johann Sebastian Bach zählte Händel zu den prominentesten deutschen bzw. deutschstämmigen Komponisten und wurde deshalb auch von den Nationalsozialisten vereinnahmt. Die Einspielung einer Komposition von Händel war daher auch für ein Sinfonieorchester zu dieser Zeit nichts Besonderes. Das Concerto grosso op. 6,5 wurde am 4. September 1939 im Berliner Funkhaus in der Masurenallee aufgenommen und ist auf insgesamt fünf einseitig bespielten Schellackplatten überliefert. Das Klangbild der Aufnahme ist trotz einer relativ starken Streicherbesetzung, v.a. in den Celli und Kontrabässen, recht transparent. Der Dirigent der Aufnahme, Alois Melichar, verzichtete auf die Einspielung des abschließenden Menuetts, wahrscheinlich wegen der besseren Schlußwirkung des vorangehenden Allegros. Damit folgte er Händels ursprünglicher Absicht, das Concerto grosso mit dem fünften Satz enden zu lassen. Der Schlußvermerk am Ende des fünften Satzes in Händels Autograph zeigt, daß das abschließende Menuett später hinzugefügt wurde.

Daß der Eröffnungssatz bei der folgenden Aufnahme des Flötenkonzerts D-Dur TWV Anh. 51:D von Georg Philipp Telemann mit Gustav Scheck und der "Saarbrücker Vereinigung für Alte Musik" fehlt, ist hingegen nicht auf Absicht zurückzuführen. Die erste Platte aus einem Set von ursprünglich vier Schellackplatten ist verschollen bzw. verlorengegangen. So sind auf dieser Aufnahme nur die drei letzten Sätze des Konzerts zu hören. Das ist um so bedauerlicher als es sich hier um eine in mehrfacher Hinsicht einzigartige Einspielung handelt. Telemann war in den 1930er nur wenigen Kennern bekannt. Seine Werke sind in der Öffentlichkeit kaum oder gar nicht gespielt worden. Die Aufnahme des Flötenkonzerts, das man auch in einer Fassung für Blockflöte (TWV 51:F1) kennt, steht am Beginn der heutigen Telemann-Renaissance, die in ihren Anfängen maßgeblich von Scheck, Wenzinger und Neumeyer mit-initiiert wurde. Die Aufnahme entstand am 31. Oktober 1936 im Senderaum des Reichssenders Saarbrücken. Es handelt sich um eine der ersten Aufnahmen auf historischen Instrumenten überhaupt und zählt zu den wenigen klanglichen Zeugnissen der "Saarbrücker Vereinigung für Alte Musik", die auf Schellack gepreßt wurden. Gustav Scheck besticht durch eine exquisite Interpretation. Am runden, weichen Ton kann man deutlich hören, daß er eine Traversflöte aus Holz und keine Querflöte aus Silber spielt. Die "Saarbrücker Vereinigung für Alte Musik" besetzt die Streicherstimmen nicht chorisch, sondern solistisch. Dadurch wird ein schlankes, kammermusikalisches Klangbild erzeugt.

Auch die Aufnahme der Suite D-Dur TWV 55:D6 für Viola da gamba, Streicher und Basso continuo ist ein wichtiges Dokument der Telemann-Rezeption. Der "Kammermusikkreis Scheck-Wenzinger" stellt ein Werk vor, das Telemanns innovativen Umgang mit der Form der französischen Suite belegt. Telemann schrieb ein regelrechtes Konzert für ein Solo-Instrument in Form einer Suite. Die Ausprägung der Suite als "Concertouvertüre", wie der Musiktheoretiker Johann Adolf Scheibe diese neue Form nennt, kann mit Fug und Recht als Erfindung Telemanns gelten. Die Viola da gamba war zum Zeitpunkt der Komposition, um 1730, schon nicht mehr en vogue und wurde zusehends vom Violoncello verdrängt. Das Werk bietet August Wenzinger die Gelegenheit, mit einem Instrument als Solist zu brillieren, das lange in Vergessenheit geraten war und im Zuge der Alte-Musik-Bewegung wiederentdeckt wurde.

Die Überlieferungslage der vorliegenden Aufnahme der Telemann-Suite ist denkbar ungünstig. Leider ist kein Originaltonträger mehr erhalten. Es existiert nur noch eine Kopie auf einem modernen Viertelzoll-Tonband. Die Dokumentation der Aufnahme ist zudem sehr lückenhaft. Die einzigen Daten, die seinerzeit festgehalten wurden, sind neben einer unzulänglichen Titelei ("Ouvertüre von Telemann") nur der Aufnahmetag (8. Januar 1943) und die Interpretenangabe "Kammermusikkreis Scheck-Wenzinger" sowie der Vermerk, daß es sich um eine Eigenproduktion der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft handelt. Alle anderen Informationen ließen sich nur indirekt ermitteln. Die Aufnahme zeigt ein erstaunlich breites Frequenzspektrum. Die charakteristischen Geräuschanteile von Aufnahmen auf Schellackplatten fehlen. Dies deutet darauf hin, daß es sich beim Originaltonträger um ein Tonband gehandelt haben muß. Mit der Erfindung der hochfrequenten Vormagnetisierung durch Walter Weber waren ab 1940 Magnetbandaufnahmen in einer sehr guten Qualität möglich. Die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft war Vorreiter in dieser neuen Technologie. Die technischen Vorrichtungen für hochwertige Tonbandaufnahmen gab es zu dieser Zeit nur in Berlin. Aufnahmeort ist daher wahrscheinlich das Funkhaus in der Berliner Masurenallee.

Das Doppelkonzert a-Moll, op. 3,8 von Antonio Vivaldi wurde am 17. September 1940 vom Leipziger Gewandhausorchester auf modernem Instrumentarium eingespielt. Die Interpretation kommt der historischen Aufführungspraxis recht nahe. Das Gewandhausorchester spielt in kammermusikalischer Besetzung, das Klangbild ist durchsichtig. Der Dirigent der Aufnahme, Paul Schmitz, wählte für seine Einspielung ein Werk aus, das man damals in erster Linie durch Johann Sebastian Bachs Transkription für Orgel (BWV 593) her kannte: das achte Konzert aus dem musikgeschichtlich äußerst bedeutsamen Werkzyklus "L'Estro Armonico". Zum Zeitpunkt der Aufnahme gehörte Vivaldi, zumindest in Deutschland, noch nicht zum festen Konzertrepertoire. Vivaldis Werke waren lange Zeit in Vergessenheit geraten. Erst Ende der 1920er Jahre setzte eine große Vivaldi-Renaissance ein, als man einen beträchtlichen Teil seiner autographen Partituren wiederentdeckte. Ein weiterer Meilenstein war die Gesamtausgabe von Vivaldis Instrumentalwerk, die ab 1947 erschien.

Leider sind die Namen der beiden Solo-Geiger unserer Aufnahme nicht überliefert. Vielleicht kamen sie aus den Reihen des Gewandhausorchesters. In diesem Falle kämen zwei der damals vier Konzertmeister des Gewandhausorchesters als Solisten in Frage: Edgar Wollgandt, Kurt Stiehler, Max Kalki, August Eichhorn.

Eine absolute Rarität ist die Aufnahme des Cembalokonzerts C-Dur von Graun. Die Werke der Musikerfamilie Graun sind auch heute noch weitgehend unbekannt. Nur die Passionskantate "Der Tod Jesu" von Carl Heinrich Graun erfreut sich einer gewissen Beliebtheit. Die Einspielung eines Graun-Konzerts war in den 1930er Jahren durchaus ein außergewöhnliches Unterfangen.

Die Überlieferungslage der Werke von Johann Gottlieb Graun (ca. 1702-1771) und Carl Heinrich Graun (ca. 1703-1759) ist recht problematisch. Die Brüder arbeiteten beide für den preußischen Kronprinzen und späteren König Friedrich II. Ihre fast ausschließlich handschriftlich überlieferten Kompositionen lassen sich sehr oft nicht eindeutig Johann Gottlieb oder Carl Heinrich Graun zuordnen. Das führte zu sich widersprechenden oder offen gehaltenen Zuschreibungen an den einen oder anderen Komponisten. Dies trifft auch auf das vorliegende Cembalokonzert in C-Dur zu. In den Aufnahmeunterlagen der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft wird das Konzert Carl Heinrich Graun zugeschrieben, vielleicht weil er der etwas bekanntere der beiden Brüder war. In der neueren Forschung möchte man sich bei der Zuschreibung des Konzertes nicht festlegen. Beide Brüder kultivierten einen Stil, der sich zusehends vom barocken Idiom entfernte und an der Schwelle zur Frühklassik anzusiedeln ist. Das zeigt sich auch beim vorliegenden Cembalokonzert in C-Dur. Fritz Neumeyer und die "Saarbrücker Vereinigung für Alte Musik" spielten es zusammen mit dem Flötenkonzert TWV Anh. 51:D von Telemann am 31. Oktober 1936 für den Reichssender Saarbrücken ein. Auch in dieser Aufnahme sind die Streicher solistisch besetzt. Die Musiker spielen im sogenannten "tiefen Kammerton" mit a1 = 415 Hz. Bisher ist keine weitere Einspielung des Cembalokonzerts C-Dur von Graun bekannt.

Nach dem unbekannten Cembalokonzert von Graun steht mit Johann Sebastian Bachs Doppelkonzert d-Moll, BWV 1043 eines der beliebtesten barocken Violinkonzerte am Schluß unserer CD. Georg Steiner, Christa Richter-Steiner und die Wiener Symphoniker spielten es unter der Leitung von Anton Konrath am 21. März 1941, also genau an Bachs 256. Geburtstag, für den Reichssender Wien ein. Von den Aufnahmen auf der vorliegenden CD ist diese Einspielung wohl die konventionellste: stark besetzte Streicher mit modernem Instrumentarium, gemessene Tempi und voluminöser Klang. Trotzdem hält sich das Pathos in Grenzen und ist keineswegs überborden. Vor allem der lyrische zweite Satz entwickelt seinen eigenen Charme. Die Solisten, Georg Steiner und Christa Richter-Steiner, spielen mit viel Schmelz; Bruno Seidelhofer am Continuo-Cembalo benutzt durchweg das 8'-Lautenregister. Dies erzeugt ein verinnerlichtes, apartes Klangbild.

Jörg Wyrschowy

© Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv (dra) 2004

Konzeption und Text: Jörg Wyrschowy
Digital Remastering: Mathias Helling
Design: Björn Pippert, [kreativ]werk
Bildmaterial: Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv (dra) (Foto Kammermusik-Kreis Scheck-Wenzinger) Westdeutscher Rundfunk, Köln (WDR) (Porträt August Wenzinger)
Herstellung: Tonträger Herstellungs Service GmbH, Kelkheim
Mitarbeit bei der Realisierung: Friedrich Dethlefs, Christiane Poos-Breir, Clemens Schlenkrich

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