1945 - Kapitulation und Wiederaufbau

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Tonaufnahmen aus und über Deutschland im Jahre 1945

Eine Produktion des Deutschen Historischen Museums Berlin, der Bundeszentrale für politische Bildung und des Deutschen Rundfunkarchivs Frankfurt/M. und Potsdam - Babelsberg (CD Nr. 1)

 

Klangbeispiel:
BBC Deutscher Dienst: Thomas Mann - Ansprache zum Kriegsende [Track 13]

 

Wie jedes Jahr seit 1934 sprach Adolf Hitler am 30. Januar im deutschen Rundfunk zum Jahrestag der nationalsozialistischen Machtergreifung - seine Ansprache aus der Reichskanzlei zum 12. Jahrestag am 30.01.1945 war gleichzeitig seine letzte Rundfunkrede.

Der PK-Bericht vom selben Tag, dem 30.01.1945, kam aus der von der Roten Armee eingeschlossenen Festung Neiße in Oberschlesien. Seit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, seit September 1939 also, hatten die Berichte der Propagandakompanien (PK) den Auftrag, neben der Information über den Kriegsverlauf auch die Kriegsbegeisterung der deutschen Bevölkerung zu wecken und zu stärken. In den letzten Monaten des Krieges war es vor allem ihre Aufgabe, trotz der verzweifelten militärischen Lage den Glauben an den deutschen "Endsieg" aufrechtzuerhalten.

Bei dem Sender 1212 handelt es sich um einen amerikanischen Tarnsender, der seit Ende 1944 ein deutschsprachiges Programm auf den Langwellenfrequenzen von Radio Luxemburg für die Bevölkerung vor allem des Rheinlandes ausstrahlte. Die Sendungen sollten die Zivilbevölkerung, aber auch die deutschen Soldaten angesichts der hoffnungslosen militärischen Lage zur Aufgabe bzw. zum Überlaufen veranlassen. Die Nachrichten bestanden aus einer Mischung von Fakten und Vermutungen, aber auch bewußten Fälschungen.

Mit Unterstützung von Propagandaminister Goebbels strahlte der Sender Werwolf ab 1. April 1945 Rundfunksendungen aus, um die Bevölkerung in den von den alliierten Truppen besetzten deutschen Gebieten zu Widerstandshandlungen gegen die alliierten Truppen aufzurufen. Bei den kriegsmüden Deutschen hatten solche Aufrufe allerdings nahezu keinerlei Resonanz; lediglich einige wenige jugendliche Banden ließen sich zu Überfällen auf Besatzungssoldaten hinreißen.

Im Zuge des Vorrückens der alliierten Truppen auf das Deutsche Reich und die von den deutschen Armeen besetzten Gebieten wurden auch die Konzentrations- und Vernichtungslager befreit, so am 27. Januar 1945 Auschwitz von der Roten Armee und am 15. April 1945 Bergen-Belsen von der britischen Armee. Patrick Grodon-Walker gelang es als Reporter der BBC, Überlebende zu Zeugenaussagen über das unfaßbare Grauen der Vernichtung der europäischen Juden zu bewegen. Eine der von ihm Befragten war Anita Lasker.

Am 21. April 1945 war Joseph Goebbels, Gauleiter der NSDAP von Berlin und seit März 1933 Reichspropagandaminister, zum letzten Mal über den Rundfunk zu hören, dessen Möglichkeiten als Propagandainstrument er wie kaum ein zweiter auszunutzen verstand. Goebbels prophezeite, daß an der "Frontstadt Berlin" der "Mongolensturm" gebrochen werde - wenige Tage später, am 2. Mai 1945, wurde die Reichshauptstadt von der Roten Armee erobert.

Der britische Tarnsender Deutscher Kurzwellensender Atlantik wandte sich seit 1943 mit seinen Rundfunksendungen vornehmlich an die Besatzungen der deutschen U-Boote, die im Nordatlantik britische und amerikanische Geleitzüge angriffen. Seinem Aufruf vom 29. April 1945 an die deutschen U-Boote, "Schluß zu machen" und sich zu ergeben, war kein Erfolg beschieden.

Am 30. April 1945 beging Hitler in der Reichskanzlei Selbstmord. Zuvor hatte er Großadmiral Karl Dönitz zu seinem Nachfolger als deutsches Staatsoberhaupt ernannt. In seiner Rede, über den Reichssender Hamburg am 1. Mai 1945 an das deutsche Volk erklärte Dönitz, daß er den Kampf gegen die "Bolschewisten" fortsetzen werde.

Am 7. Mai 1945 wurde die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Reims unterzeichnet, am 8./9. Mai in Berlin-Karlshorst wiederholt. Die Nebenstelle Flensburg des Reichssenders Hamburg, nun zum "Reichssender Flensburg" geworden und zum einzig verbliebenen Rundfunksender der "Regierung Dönitz", übertrug am 9. Mai 1945 den letzten OKW-Bericht des Zweiten Weltkrieges. Seit dem 1. September 1939 hatten die deutschen Rundfunkanstalten täglich einen militärischen Nachrichtenüberblick ausgestrahlt (und im Laufe des Tages mehrfach wiederholt), der mit den Worten begann "Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt...". Der Text des OKW-Berichts wurde im wesentlichen vom Wehrmachtsführungsstab formuliert und durfte von journalistischer Seite nicht redigiert werden.

Überall in den siegreichen Ländern waren nun Ansprachen zum Ende des Krieges in Europa zu hören: so der britische Premierminister Winston S. Churchill am 8. Mai 1945 in einer umjubelten kurzen öffentlichen Ansprache im Londoner Regierungsviertel Whitehall. Churchill, der über den britischen Rundfunksender BBC am selben Tag noch ein weiteres Mal zum "Victory Day in Europe" sprach, mußte wenige Wochen später, Ende Juli 1945, wegen seiner Wahlniederlage als Regierungschef zurücktreten.

Von Josef W. Stalin, seit Ende der 20er Jahre unumschränkter Herrscher in der Sowjetunion, sind nur wenige Rundfunkansprachen bekannt: die wichtigste war wohl seine Rede vom 3. Juli 1941 - zwei Wochen nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion. Bemwerkenswert bei seiner Ansprache vom 9. Mai 1945 war die Anrede: neben dem üblichen "Genossen" auch "Mitbürger und Mitbürgerinnen", sicher ein Reflex auf den "Großen Vaterländischen Krieg".

Hinter dem Pseudonym "Pfarrer Silesius" verbarg sich Hans Siemens (1891-1969), ein deutscher Schriftsteller und Journalist, der über Frankreich in die USA ins Exil gehen mußte und dort u.a. für amerikanische Rundfunkanstalten arbeitete. Die "Stimme Amerikas", eine Einrichtung des Office of War Information der amerikanischen Regierung, sendete seit Februar 1942 in deutscher Sprache, auch - wie aus der Absage hervorgeht - auf den Frequenzen der BBC.

Der Schriftsteller Thomas Mann blieb nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 im europäischen Ausland, ging 1939 ins amerikanische Exil und lebte seit 1942 in Kalifornien. Auf Wunsch der BBC hielt er seit Oktober 1940 etwa einmal im Monat eine Rundfunkansprache über den deutschen Dienst der BBC, die stets mit der Anrede "Deutscher Hörer!" begann. Während die ersten Ansprachen in London verlesen wurden, sprach Thomas Mann ab März 1941 die Reden selbst im Aufnahmestudio der NBC in Los Angeles. Die besprochenen Platten wurden dann nach New York geflogen und über Kabel nach London überspielt. In seinem Tagebuch (Th. Mann, Tagebücher 1944-1946, Ffm., 1986, S. 202/203) vermerkt Thomas Mann unter dem 9. Mai: "Begann neue deutsche Ansprache zu schreiben", am 10. Mai: "Die Message weiter geschrieben, die nachmittags beendet" und endlich am 11. Mai: "Fahrt zur N.B.C., Lesung der Message". Mit dieser Ansprache vom 11. Mai 1945 endeten die "Kriegsreden" von Thomas Mann - mit einem gewissen Recht kann man aber noch eine weitere hinzufügen: seine ebenfalls über den deutschen Dienst der BBC ausgestrahlte Rede vom 8. November 1945, in der er begründete, warum er nicht nach Deutschland zurückkehren werde.

Schon Ende Mai 1945 wurde Fritz Schäffer von der amerikanischen Besatzungsmacht zum ersten bayerischen Ministerpräsidenten nach dem Kriege ernannt. Am 15. Juni 1945 stellte er in einer Rundfunkansprache sein Kabinett und seine Regierungsziele vor. Ende September 1945 wurde er allerdings bereits wieder entlassen, da er nach amerikanischer Auffassung die Entnazifizierungspolitik zu zurückhaltend durchführte.
Schäffer übernahm später als Bundesfinanzminister (1949-1957) in der Regierung Adenauer eine wichtige Position.

Die Ansprache des amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman in San Francisco am 26. Juni 1945 anläßlich der Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen machte deutlich, daß diesmal die USA bei einem weiteren Versuch, ein System der kollektiven Sicherheit aufzubauen, aktiv mitarbeiten und sich nicht - wie beim gescheiterten Völkerbund - in eine isolationistische Position zurückziehen würden. Truman erklärte allerdings auch, entscheidend sei nicht die Charta, sondern der Wille - und die Fähigkeit - sie auch anzuwenden und durchzusetzen.

Auf einer öffentlichen Veranstaltung im Hamburger Rathaus am 10. Oktober 1945, an der auch der Hamburger Bürgermeister Rudolf Petersen teilnahm, skizzierte der Architekt und Städteplaner Fritz Schumacher (1869-1947) seine Vorstellungen über den Wiederaufbau der zerstörten deutschen Städte. Seine Leitgedanken, auf den gewachsenen Strukturen aufzubauen und diese nicht zu zerstören, fand freilich im Nachkriegsdeutschland nicht überall Berücksichtigung.

Neben dem wirtschaftlichen und politischen Aufbau spielte auch die geistige Erneuerung Deutschlands eine wichtige Rolle. Ein großer Teil der deutschen Schriftsteller, Künstler und Musiker war freiwillig oder gezwungenermaßen ins Exil gegangen. Nur wenige kamen nach Deutschland zurück, darunter der seit 1943 am Züricher Schauspielhaus arbeitende Regisseur und Schauspieler Wolfgang Langhoff (1901-1966). Am 12. Oktober begründete er in seiner Rundfunkerklärung seinen Entschluß zur Rückkehr. Langhoff leitete dann von 1946 bis 1963 das Deutsche Theater in Berlin, neben dem Berliner Ensemble wohl die wichtigste Schauspielbühne der DDR.

Walter Ulbricht, Reichstagsabgeordneter der KPD von 1928 bis 1933, kehrte Ende April 1945 aus dem Moskauer Exil nach Deutschland zurück. Der neben Wilhelm Pieck wohl einflußreichste KPD-Politiker hielt am 19. Oktober 1945 im Leipziger Capitol eine Ansprache, in der er die Vorstellungen seiner Partei über den wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau Deutschlands darlegte. Entscheidend beteiligt an der Gründung der DDR, übernahm Ulbricht wichtige Ämter in Partei und Staat, so das Amt des Staatsratsvorsitzenden der DDR von 1960 bis 1973.

Vom 20. bis 28. Oktober 1945 fand die "Woche der Leipziger Selbsthilfe" statt, zu deren Beginn die Vertreter der vier antifaschistischen Parteien (CDU, KPD, LDPD und SPD) Gelegenheit hatten, im Rundfunk zu sprechen. Die Rede des Vertreters der SPD - dessen Name nicht bekannt ist - läßt, im Vergleich mit der Rede Ulbrichts, unschwer erkennen, wer in der wenige Wochen später gegründeten SED das Sagen haben würde.

Am 19. November 1945 veranstaltete der Berliner Magistrat im Admiralspalast eine Kundgebung, um öffentlich Rechenschaft über seine Arbeit während der vergangenen sechs Monate zu geben. Neben dem Oberbürgermeister Arthur Werner sprach auch der Altphilologe Professor Johannes Stroux (1886-1954), erster Nachkriegsrektor der Berliner Humboldt-Universität und Gründungspräsident der Deutschen Akademie der Wissenschaften - über die Schwierigkeiten bei der Wiedereröffnung der Universität Unter den Linden. Auf der selben Veranstaltung äußert sich auch der Schauspieler und Regisseur Ernst Legal (1881-1955) über den Beginn des kulturellen Lebens im zerstörten Berlin in den ersten Nachkriegsmonaten. Legal war als Intendant der Deutschen Staatsoper (1945-1952) und Gründungsmitglied des Kulturbundes einer der wichtigsten Vertreter des Kulturlebens in der Frühzeit der DDR.

Die vorliegende Sammlung von Originaltondokumenten soll und kann weder den Verlauf des Krieges im Jahre 1945 nachzeichnen, noch sollen die Probleme beim Wiederaufbau Deutschlands vollständig dokumentiert werden; stattdessen wird versucht, an Hand einiger exemplarischer Tonaufnahmen etwas von der Atmosphäre, vom "Zeitgeist" des Jahres 1945 zu vermitteln. Um dies zu ermöglichen, muß ein Tondokument eine gewisse Dauer haben, die über die eines bloßen Stimmporträts oder eines Originalton-Zitats hinausgeht. Von den über 800 Tonaufnahmen aus dem Jahre 1945, die im Deutschen Rundfunkarchiv an den beiden Standorten Frankfurt am Main und Berlin archiviert sind, konnten daher für diese Produktion nur wenige Berücksichtigung finden.

Frankfurt am Main, im Januar 1995
Walter Roller


Inhalt:

 

Track Aufnahmedatum Titel Dauer
01 30.01.1945 Adolf Hitler - Rundfunkansprache aus der Reichskanzlei zum Jahrestag der nationalsozialisitischen Machtergreifung (seine letzte Rundfunkrede) 2'11"
02 30.01.1945 PK-Bericht vom selben Tag aus der von der Roten Armee eingeschlossenen Festung Neiße in Oberschlesien 1'59"
03 27.03.1945 Amerikanischer Soldatensender "1212", amerikanischer Tarnsender ab Ende 1944 3'26"
04 05.04.1945 "Sender Werwolf", NS-Propagandasender, seit 1.4.1945 2'51"
05 16.04.1945 BBC deutscher Dienst: Anita Lasker, Zeugenaussage einer Überlebenden des KZ über das unfaßbare Grauen der Vernichtung 3'42"
06 21.04.1945 Joseph Goebbels zum letzten Mal über den Rundfunk zu hören 2'40"
07 29.04.1945 Deutscher Kurzwellensender Atlantik, britischer Tarnsender mit einem Aufruf an die deutschen U-Boote, "Schluß zu machen" 2'34"
08 01.05.1945 Karl Dönitz, Hitlers Nachfolger, mit seiner Rede an das deutsche Volk 4'05"
09 09.05.1945 Reichssender Flensburg: der letzte OKW-Bericht 1'55"
10 08.05.1945 Winston S. Churchill (engl.) zum Ende der Krieges aus einer kurzen öffentlichen Ansprache im Londoner Regierungsviertel Whitehall 1'43"
11 09.05.1945 Rede von Josef W. Stalin (russ.) zum Ende des Krieges 1'18"
12 09.05.1945 Stimme Amerikas: "Pfarrer Silesius" (Hans Siemsen, Schriftsteller und Journalist, aus dem Exil) 2'59"
13 11.05.1945 BBC deutscher Dienst: Thomas Mann - Ansprache zum Kriegsende (aus Los Angeles) 3'00"
14 15.06.1945 Rundfunkansprache von Fritz Schäffer, erster bayerischer Ministerpräsident nach dem Krieg 5'17"
15 26.06.1945 Ansprache des amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman in San Francisco anläßlich der Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen (engl.) 2'20"
16 10.10.1945 Fritz Schumacher, Architekt und Städteplaner, über seine Vorstellungen über den Wiederaufbau der zerstörten Städte 7'22"
17 12.10.1945 Rundfunkerklärung von Wolfgang Langhoff, Schauspieler, zu seiner Rückkehr nach Deutschland 2'39"
18 19.10.1945 Ansprache von Walter Ulbricht in Leipzig nach seiner Rückkehr aus dem Moskauer Exil über den Wiederaufbau Deutschlands 4'36"
19 20.10.1945 Rede des Vertreters der Leipziger SPD 2'38"
20 19.11.1945 Rede von Johannes Stroux, erster Nachkriegsrektor der Humboldt Universität Berlin, über die Schwierigkeiten bei der Wiedereröffnung der Universität 4'17"
21 19.11.1945 Rede von Ernst Legal, Intendant der Deutschen Staatsoper und Gründungsmitgleid des Kulturbundes, über den Beginn des kulturellen Lebens im zerstörten Berlin in den ersten Kriegsmonaten 6'06"
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