Beratungsartikel

Beratungsbeispiel als Zeitungsartikel

 

 

So wird man mit Rabauken fertig

 

 

Ein einziges Kind, das oft stört oder immer gleich zuschlägt, kann allen Klassenkameraden die Schule vermiesen. Lesen Sie, was Lehrer tun sollten und wie Eltern und Schüler diesen Kindern helfen können. Diese Ratschläge gibt Ihnen Karla Gräf, Familien- und Sprachtherapeutin in München.

 

Matthias, 7 Jahre, ist ein eifriger Erstklässler. Er paßt gut auf und weiß viel. Aber er will immer sofort drangenommen werden. Energisch schnipst er mit den Fingern, ruft dazwischen und springt auf, um nur ja nicht übersehen zu werden.

Natürlich kann die Lehrerin nicht immer Mathias aufrufen. Übergeht sie ihn, ist er sauer und läßt seine Wut an seinen Nachbarn aus. Püffe sind noch harmlose Reaktionen. Einmal hat er einer Mitschülerin den Stuhl unterm Po weggezogen.

Kathrin, 9 Jahre, war in den ersten zwei Jahren eine eher unauffällige Schülerin. Jetzt, in der dritten Klasse, ist sie oft unausstehlich, besonders am Montagmorgen. Wenn die Klasse im Kreis sitzt und vom Wochenende berichtet, erzählen die Mitschüler, was sie mit ihrer Familie unternommen haben und Kathrin macht abfällige Bemerkungen wie: "So ein Scheiß!“

Kinder wie Matthias und Kathrin gibt es in vielen Klassen. Und in fast jeder Grundschule kommen in der Pause Szenen wie die folgenden vor:
Ein paar Jungen aus der 4. Klasse spielen Fußball. Bastian, der beste Spieler, gibt Martin eine Vorlage. Doch der schießt neben das Tor. “Volltrottel“, schimpft Bastian und rammt ihm mit voller Wucht sein Knie in den Bauch.
Marc und Tom beide zehn Jahre alt, drehen gemeinsam ihre Runde auf dem Hof. Immer, wenn sie an Sven vorbei-kommen, rempeln sie ihn kurz an. Sven sagt nur hilflos: "Hört auf!" Aber das nützt nichts. Marc und Tom schubsen ihn schließlich hin und her, treten und boxen ihn.
Mathias, Kathrin, Bastian. Marc und Tom sind, jeder auf ihre Weise, Störenfriede, die den Mitschülern das Leben schwer machen. Und gar nicht so selten verlangen die Eltern, man solle die Rabauken von der Schule verweisen. „Aber das, sagt Karla Gräf, ist die falsche Lösung. Richtig wäre, diese Schüler in die Gemeinschaft zu integrieren, auch im Interesse ihrer Klassenkameraden.

Auf diese Weise lernen sie, mit schwierigen Menschen umzugehen. Das werden sie ihr Leben lang können müssen.
Kinder, die Probleme machen, haben meistens selber welche. Deshalb brauchen sie Verständnis und Hilfe, aber auch feste Grenzen. Denn von den Mitschülern werden sie nur akzeptiert, wenn sie sich an die allgemeinen Spielregeln halten.
Der eifrige Mathias zum Beispiel muss sich darauf einstellen, dass es in der Schule anders ist als zu Hause. Dort steht er als Einzelkind im Mittelpunkt des Interesses. Seine Lehrerin bat ihn bereits mehrmals in Einzelgesprächen nach dem Unterricht, auf die anderen Kinder Rücksicht zu nehmen. Doch das brachte gar nichts. Karla Gräf: „Ich würde das Problem dann vor der ganzen Klasse ansprechen.Viele Kinder lassen sich von ihren Mitschülern eher etwas sagen als vom Lehrer. Der muss allerdings aufpassen, dass nicht alle über den Störenfried herfallen. Sie sollen nur klarmachen, was ihnen an seinem Verhalten nicht gefällt."

Eine gute Möglichkeit bieten auch Rollenspiele:
Banknachbarin Sabine spielt Mathias, der sich immer vordrängt, Mathias ist Sabine, die sich übergangen fühlt. Das erleichtert es Mathias, sich in Mitschüler hineinzuversetzen.

Ein vorgestellte Situation kann Dränglern auch helfen, ihre Ungeduld zu zügeln:
Karla Gräf:"Stell dir jedes Mal, wenn du drankommen willst, eine rote Ampel vor und überlege kurz, ob du nicht besser warten solltest."
Seinen Eltern würde sie raten, ihrem Sohn auch zu Hause häufiger Grenzen zu setzen.
„Wenn alle Beteiligten Lehrer, Mitschüler und Eltern an einem Strang ziehen, stehen die Chancen, dass Mathias sein Verhalten ändert, sehr gut."

Bei Kathrin liegt der Fall anders." Einer solchen Schülerin biete ich ein Gespräch unter vier Augen an. Wenn sie möchte, hat sie die Möglichkeit, mir von ihren Problemen zu erzählen. Denn die hat sie ! Ihr Vater und ihre Mutter streiten sich viel, vor allem am Wochenende.
Viele Eltern, die eine Ehekrise haben, ahnen nicht, wie sich ihr Streit auf ihre Kinder auswirkt:
Ihren Kummer tragen sie in der Schule aus und handeln sich damit auch dort noch Ärger ein.“

In Kathrins Fall würde Karla Gräf beide Eltern bitten, sich möglichst nicht vor ihrer Tochter zu streiten. Kathrin würde sie erlauben, am Montag eine Viertelstunde später zu kommen, damit sie nicht traurig zuhören muss, wie die Mitschüler von ihren tollen Wochenenderlebnissen erzählen.

Beim Fußballer Bastian dagegen wäre eine andere Strategie angebracht. Obwohl auch er zu Hause Schwierigkeiten hat: Sein älterer Bruder ärgert ihn ständig.
Karla Gräf: „Geschwister-Rivalität ist für viele Kinder ein großes Problem.
Sie können nicht alles an ihren Klassenkameraden auslassen. Bastian muss lernen, sich zu beherrschen. Als erstes würde ich Martin erzählen lassen, was vorgefallen ist und dann mit Bastian allein sprechen. Ich würde ihm sagen: Du bist ein toller Fußballer, aber zum Spielen gehört auch Fairness. Marc, der mit seinem Kumpel Tom den ängstlichen Sven drangsaliert, gehört zu den Kindern, die sich selber sofort angegriffen fühlen: Sven starre ihn oft so komisch an, verteidigt er sich, als die Rempeleien auf dem Schulhof zur Sprache kommen.
Karla Gräf: „Schüler wie Marc befinden sich ständig in Alarmbereitschaft. Sie schlagen zu, ohne richtig hinzuschauen. Sie müssen zweierlei lernen:
Sich zu beherrschen und die Gefühle anderer richtig zu interpretieren. Das kann beim Rollenspiel geübt werden.

Wichtig ist, dass die Klassenlehrerin Gemeinheiten, die in der Pause passieren, nicht einfach übergeht, sondern anspricht, selbst wenn dafür die ganze Mathestunde draufgeht.
Kinder, die Angst haben, können sich nämlich nicht konzentrieren und Rabauken, denen niemand Einhalt gebietet, werden immer schlimmer, bis kein Unterricht mehr möglich ist.

Hilfreich findet die Münchner Therapeutin und Lehrerin auch Gespräche über das Rollenverhalten, nicht nur in der Klasse, sondern auch am Elternabend: „Viele Jungen glauben, sie verhalten sich besonders männlich, wenn sie sich nichts gefallen lassen. Manche Väter bestärken sie noch darin.
Beide Seiten müssen begreifen, dass Einfühlungsvermögen ein positiver Wert ist und Aggressivität einen Schüler in die Aussenseiterrolle treibt. Denn mit Schlägertypen oder anderen unangenehmen Zeitgenossen wollen die Mitschüler meist nichts zu tun haben.
Ausgegrenzt werden schwierige Kinder aber noch schwieriger, und die anderen haben noch mehr Angst vor ihnen.
Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, müssen also die Störer ihr Verhalten ändern, und die Klassenkameraden sollten ihnen eine Chance geben.
Deren Eltern können dabei helfen. Karla Gräf, selbst Mutter dreier Söhne: "Wenn meine Kinder zu Hause über einen Mitschüler herziehen, bestärke ich sie nicht darin, sondern ich halte sie zum Nachdenken an: Überlegt mal, warum der so ist. Vielleicht geht es ihm in Wahrheit ganz schlecht. Und dann ermutige ich sie, dieses schwierigen Kinder doch einfach mal einzuladen. Meist stellt sich heraus, dass diese "schwierigen" Kinder  gar nicht so schlimm sind und dass sie sogar viele positive Seiten haben.“